Ein Zitat aus Cortinths Lehrbuch „Das Erlernen der Malerei“ führt zu den Ursprüngen von
Karl Walthers Anschauungen zurück. Corinth bestand auf absoluter Ähnlichkeit, denn nur sie
gestattet „die Unmittelbarkeit des Ausdrucks, das Lebendige der Auffassung, das jeden
Beschauer ergreift. Die Möglichkeit, alle Charaktereigenschaften, und somit die Ähnlichkeit
der Person, die gemalt werden soll zu gewinnen, wird wahrscheinlicher, je bekannter man mit
ihr ist. Deshalb wir ein längerer Verkehr, bevor man zu malen beginnt, notwendig sein. Nur
so wird die Arbeit zu einem Portrait; im anderen Falle, wo das Modell dem Maler unbekannt
ist, höchstens zu einer gut gemalten Studie.“ Am besten, so Corinth weiter, schaffen man
Bilder von sich selbst oder von Familienangehörigen – eine Aufforderung, der Walther immer
wieder gefolgt ist.
All seine Bildnisse hat Walther durch sich an das Wesentliche herantastende
Bleistiftzeichnungen vorbereitet. In ihnen vergewisserte er sich seines Gegenübers. Mit
sanften, immer wieder abbrechenden Strichen fängt er die Form ein. Energischer, dichter wird
der Duktus, wenn es um Festlegung der Helligkeiten und des Dunkels geht. Unterstützung
finden die Angaben zu Licht und Schatten in energisch, breiten Schraffuren und gewischten
Grautönen.
Bei der Umsetzung auf die Leinwand wird die in der Zeichnung festgelegte Komposition
exakt beibehalten. Nun tritt Farbe hinzu. Oft agieren die Darstellten in einem neutralen Raum
was den Blick auf die Person konzentriert. Häufig erkennt man an wie zufällig am Boden
stehenden Bildern, dass sich die Porträtierten im Atelier des Künstlers eingefunden hatten.
„Sprechende“ Attribute sind selten; Ein Arzt posiert in seiner weißen Arbeitskleidung, ein
Cellist hat sein Instrument 194 bei sich, der befrackte Tenor steht neben einem Flügel. Den
meisten jedoch genügen ihre charakteristischen Züge, unbefangen und selbstbewusst stehen
oder sitzen dem Maler gegenüber, in sich ruhend, gelegentlich rauchend oder – wie der
Oberlehrer Daumann – mit der seinem Stande angemessenen rhetorischen Geste. 199.
Von besonderem Interesse sind die großformatigen Familienbildnisse, etwa „Nach dem
Essen“ 172 oder das Bild von den Eltern 173: Rechts sitzt die Mutter, die Lektüre der
„Abendpost“ hat sie unterbrochen, da der Vater herbei tritt, um ihr eine Notiz oder eine
Postkarte vorzulesen. Eine Szene aus dem Alltag, die nicht gestellt, sondern ganz natürlich
wirkt. Kein „offizielles Doppelportrait“, vielmehr eine persönliche Sicht, eine „hommage“ an
die Eltern.
Wie sein großes Vorbild Rembrandt hat sich Karl Walther zeit seines Lebens mit der eigenen
Physiognomie auseinandergesetzt. Aus der Frühzeit kennen wir verwegene Selbstbildnisse
219, die ihn unbefangen, sicher und unerschütterlich zeigen. Hier ist er der derbe, manchmal
etwas ungehobelte und gleichzeitig doch höchst sensible Mann aus einfachen Kreisen, als der
er in den Erinnerungen von Zeitzeugen aufscheint. 203. In den späteren Arbeiten, etwa dem in
den Besitz der Städtischen Galerie Würzburg gelangten Bild, trifft der Beschauer auf eine
Künstlerpersönlichkeit, die sich selbst prüfend, doch mit dem Bewusstsein der Könnerschaft
konterfeit hat. Auf klassische Attribute wie Pinsel und Palette hat er dabei verzichtete.
Die „Dame mit Hut“ 181, ein nahezu lebensgroßes Bildnis einer Unbekannten im
großstädtischen Habitus der Zwanziger Jahre. Gemahnt stark an die Kunst Edouard Manets.
Max Liebermanns Einfluss steht hinter dem Portrait des Kabarettisten Woldemar Sacks 180,
der lässig mit der Zigarette in der Linken auf einem Sessel sitzend, am Maler vorbei aus dem
Bild blickt. Die Züge sprechen für einen wachen, hellen Geist, die Haltung für
Selbstbewusstsein. Mit einem Bildnis dieses Mannes war Walther auf einer Ausstellung im
Carnegie-Institute in Pittsburgh vertreten.
Walther geht stets nah an sein Modell heran, vermeidet allzu große Distanz, und verleiht
damit seinen Portraits etwas sehr Unmittelbares.