Karl Walther, der sich 1943 in Seeshaupt
einen Bauplatz kaufte,
erblickte das Licht der Welt am 19. August 1905 in Zeitz,
unweit der Messestadt Leipzig. Seine Mutter unterstützte
ihn von Anfang an in seiner Absicht, Künstler zu werden.
Die Schönheit farblicher Reize hat ihn schon früh fasziniert.
Mit neun Jahren, so lesen wir in einer autobiographischen Skizze,
„erwachte die Lust, das in der Umwelt Gesehene, wie es in seiner
Vorstellung lebte, bildlich nachzuahmen.“ Der Künstler selbst
erzählte gerne die Episode, wie er beim Gemüsehändler um die Ecke
auf die Pacht der Natur aufmerksam geworden sei. Er begann zu zeichnen
und zu malen, wobei ihm vielleicht die Begegnung mit Studenten im
elterlichen Wohnheim zustatten kam. Einige wenige erhaltene Blätter
aus der Jugendzeit belegen eindringlich sein Talent.
Nach der Schule erlernte Karl Walther zunächst das Handwerk
des Chromolithographen. Er trat bei der seinerzeit bekannten
Leipziger Firma Meißner & Buch als Lehrling ein, arbeitete
aber auch abends, um Mittel für ein Studium zu verdienen,
indem er populäre Druckgraphik kolorierte. „Da aber der Beruf
des Reproduktionslithographen zu wenig mit der bildlichen
Gestaltung der in der Phantasie lebenden, aus sinnlicher
Aufnahme und geistigem Ordnen erzeugten Vision zu tun hat“,
wagte Walther nach eineinhalb Jahren den Absprung.
Zunächst einmal verschrieb er sich der Musik, genauer
gesagt: dem Klavierspiel, dem er bis ans Ende seines Lebens
treu blieb. Doch auch dieses Studium brach er nach zwei Jahren
(1922) ab.
Man muss Karl Walther ohne Zögern als Autodidakten bezeichnen.
Sein Aufenthalt an der Leipziger Akademie dauerte nur kurz. Heinz Dörffel
und Fritz Ernst Rentsch, die die Klassen für Graphik bzw. für Temperamalerei
unter sich hatten, vermochten ihm nur wenig zu geben. Walthers eigentliche
Lehrer waren die reichen Bestände des Leipziger Museums für Bildende Kunst.
Im „Impressionisten-Saal“ des heimatlichen Musentempels konnte er neben Werken
von Slevogt und Corinth drei Bilder Max Liebermanns sehen, von Walther Leistikow
den „Park in Friedrichsruh“. Wilhelm Leibl, Karl Hagemeister und Carl Schuch schlossen
sich an - letzterer mit „Bernried am Starnberger See“ (später, nach dem Umzug nach Seeshaupt,
war dort auch Walther tätig). Und schließlich gibt es in Leipzig von Camille Pissarro eine
Ansicht aus Paris, die 1898 entstanden war. Walthers Favoriten in der älteren Malerei waren
Frans Hals und Rembrandt.
Karl Walther hat 1974 an die große Bedeutung erinnert, die Lovis Corinths erstmals 1908 erschienenes Buch
„Das Erlernen der Malerei“ für ihn gespielt hat. „Dieses Lehrbuch“, so schrieb er, „lernte ich bereits 1922
kennen, als ich mich endgültig entschloss ... mich ganz der bildlichen Wirklichkeitsdarstellung auf der
Fläche zu widmen. Da ich zunächst überhaupt keinen Unterricht an einer Akademie oder Privatschule nahm,
war Corinths Lehrbuch meine einzige Anleitung zum Selbststudium der Menschen-, Tier-, Landschafts- und
Architekturmalerei. Ich kann mich daher ohne Bedenken ... einen Schüler Corinths nennen.“ Die Ideale
des Lehrmeisters schienen Walther auf den Leib geschneidert zu sein: Die Leser „sollen die größten
Anforderungen an sich stellen und die höchsten Ziele erstreben. Dazu gehört vor allen Dingen die Erziehung
zur Selbständigkeit.“
Karl Walther konnte bereits in seiner Jugendzeit mit seinen Porträts, Landschaften und Städtebildern
außerordentliche Erfolge aufweisen. Seine erste Einzelausstellung fand im September 1926 beim Galeristen
Heinrich Barchfeld in Leipzig statt. Gezeigt wurden einige Porträtskizzen, in der Hauptsache jedoch
Straßenbilder, Bahnunterführungen und stille Vorstadtwinkel. Dazu meinte ein Kritiker: „Die Landschaften,
zumeist Vorstadt-Straßenbilder, pflegen einen frischen Impressionismus, der in seiner gefälligen Lichtmalerei,
seinem sicheren Gefühl für Architektur und nicht zum wenigsten in dem koloristisch pointierten Stimmungsgehalt
sehr ansprechend wirkt.“ Auch die „Abendpost“ war voll des Lobes: „Ein sonniger Impressionismus, der die ödeste
Vorstadtstraße zum lebensfrohen Bilde erhebt, der den nüchternen Kleinstadtgebäuden Leben verleiht, der den
Laternenpfahl in gleicher Weise beseelt, wie Baum und Strauch!“ Man feierte ihn 1927 als „Naturtalent“, als
„Naturbegabung“, die „zweifellos ein Phänomen“ darstelle, „eine Erscheinung, wie sie nur alle Jubeljahre
einmal auftritt“. Weiter hieß es: „Er erreicht mit den einfachsten Mitteln, mit einer fast genialen Bewältigung
des Raumes zauberhafte Stimmungen.“ Man verglich ihn mit Max Slevogt und erklärte ihn zwei Jahre später zum
„stärksten malerischen Ereignis des letzten Jahrzehnts in Deutschland“.
Anfang 1927 bemühte sich Karl Walther um einen
Studienplatz an der Dresdener Hochschule für Bildende
Künste. Der Künstler wollte Meisterschüler bei Robert
Sterl, einem bedeutenden deutschen Impressionisten
werden, dem er Arbeitsproben zugesandt hatte.
Er wurde auf Probe genommen, überwarf sich aber sehr
schnell mit dem Professor. Es gebe Leute, so musste
Walther vernehmen, die man auf der Akademie nicht
gebrauchen könne - ein Hinweis, auf den hin der
Künstler sich höflich, aber mit den Worten „Scheffler
, Deutschlands bedeutendster Kunstkritiker, hat mich
aufgefordert, Maler zu werden!“ verabschiedete.
Ähnlich erging es ihm in Berlin, wo er sich bei
Professor Arthur Kampf, dem Direktor der Hochschule
der bildenden Künste vorstellte. Die vorgelegten
Arbeiten bewogen diesen jedoch zur Ablehnung: „Was wollen Sie
denn bei uns, wenn Sie das schon können?“
Der berühmte Maler Max Liebermann schickte er ihn zu Ulrich Hübner,
der ihn allerdings mit den Worten „Ich weiß nicht, ob Sie überhaupt
noch zu einem Lehrer gehen sollen. Und wenn ja, dann nur zu Slevogt!“
an diesen Meister des Deutschen Impressionismus weiterreichte.
Slevogt empfing den jungen Mann sehr freundlich. Nach Prüfung
seiner Arbeiten sagte er: „Sie haben einen sehr sicheren,
festen Pinselstrich ... Ja, das musste ja Liebermann gefallen
haben. Ich würde Sie sofort als Meisterschüler nehmen, aber ich
habe kein Atelier frei. Kommen Sie im Herbst wieder!“ -
Als Walther am 21. September 1932 dann erneut vorstellig
wurde, musste er erfahren, dass Slevogt einen Tag zuvor
verstorben war.
Trotz dieser vielen Dämpfer gelang Walther bald der große Durchbruch.
Er nahm mehrfach an den Internationalen Ausstellungen des Carnegie-Institute
in Pittsburgh teil, stellte in der Berliner Sezession, der Biennale in Venedig
und in zahllosen deutschen Museen und Galerien aus. Dutzende seiner Gemälde kamen in öffentlichen Besitz, hunderte zu privaten Sammlern.
Auch nach 1945 konnte er, etwa bei der Ausstellung
im Würzburger Wenzelsaal des Rathauses, Erfolge für
sich verbuchen, doch dann setzte recht rasch ein
Wandel in der Kulturpolitik ein: Realismus und
Impressionismus und alles Figurative galten als
nicht mehr zeitgemäß - die Abstraktion trat ihren
Siegeszug an den Akademien, den Museen und in den
Ausstellungen an. Karl Walther hat diese Strömung, die
das Ende seiner internationalen Karriere bedeutete, mit
allen ihm gegebenen Mitteln zu bekämpfen versucht. Auf
eigene Kosten ließ er Streitschriften drucken, die manchem
sauer aufstießen. Er führte erbitterte Diskussionen, er
schrieb engagierte Briefe an Politiker, Künstler und Museumsleute -
musste aber konstatieren, dass sein Kampf ergebnislos blieb.
Erst heute, nach nahezu einem Menschenalter, setzt sich langsam
die Erkenntnis durch, dass eine „verschollene Generation“
von Künstlerinnen und Künstlern zu Unrecht im Schatten der
Abstrakten und Gegenstandslosen stehen musste.
Eine Krankheit hinderte Karl Walther während seiner letzten Lebensjahre an
der Weiterarbeit; an Ostern 1977 erlitt er einen Schlaganfall. Trotz manches
Widerstandes waren sein Sinnen und Streben ungebrochen. Er war auf Ausstellungen,
etwa jenen der „Münchner Künstler-Genossenschaft“, stets präsent und auch die
Presse berichtete hin und wieder über ihn. Sein Haus in Seeshaupt war im Lauf
der Jahre zu einem kleinen Privatmuseum herangewachsen, zu einem Treffpunkt
von Freunden, Bekannten und Bewunderern seiner Kunst. In diesem Ambiente
starb Karl Walther, inmitten einer repräsentativen Auswahl seiner Gemälde,
nachdem er frühmorgens noch am geliebten Flügel saß und eine Komposition
von Johann Sebastian Bach gespielt hatte, am 9. Juni 1981. So schloss sich
ein Künstlerleben, das ursprünglich auf die Musik ausgelegt war. Tonkunst
und Malerei sind eng mit einander verwandt - Karl Walthers Gemälde sind Musik in Farben.
Josef Kern